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Egon Kuhn
∗ 20.1.1927 in Osnabrück
† 23.1.2019 in Hannover-Linden

Ruhe im Schiff,
Licht aus.
Alle Geister auf Station,
Klabautermann von Bord!

      Liebe Freunde, liebe MitstreiterInnen,
      in der Nacht zum Mittwoch, den 23. Januar 2019
      ist Egon Kuhn in Hannover-Linden gestorben.
      Für mich und meine Familie war er ein wichtiger Lebensfreund
      und langjähriger Wegbegleiter.

      Auch für unser Projekt 'Internationale Friedensschule Bremen'
      im Bürgerhaus Vegesack war Egon immer ein
      interessierter und solidarischer Mitstreiter.


In den letzten Monaten hat sich Egons Lebensgefährtin Susanne hingebungsvoll um ihn gekümmert und ihm ermöglicht, am politischen und sozialen Leben 'in seinem Kiez Linden' teilzunehmen. Noch vor wenigen Tagen haben beide Egons 92. Geburtstag in gemeinsamer Runde begangen – wie er es immer geliebt hat: mit einem guten Essen 'beim Italiener / Spanier' und den dazu passenden Getränken.

Gemeinsam mit vielen Freunden und Kollegen werden wir Egon sehr vermissen – besonders die intensiven und freundschaftlichen Gespräche für 'unsere gemeinsame Sache'.


Links und frei!
   Gerd Meyer

Egon und Gerd Meyer lassen es sich gut gehen

Egon Kuhn im Freizeitheim Linden

"Mein grundlegendes politisches Anliegen war das einer gerechten Gesellschaft"

(Egon Kuhn)

Egon Kuhn ist tot. Der Mann mit dem roten Schal und der Baskenmütze, der in den vergangenen 50 Jahren wie kaum ein Zweiter die Entwicklung Lindens mitgeprägt hat, verstarb am 23. Januar 2019 im Alter von 92 Jahren.

Geboren wurde Egon Kuhn am 20. Januar 1927 in Osnabrück. Aufgewachsen in bescheidenden Verhältnissen im Arbeiterstadtteil Schinkel erliegt Egon – wie viele Angehörige seiner Generation – in jungen Jahren der Faszination der von den Nationalsozialisten propagierten Volksgemeinschaft und wird im Alter von zehn Jahren Mitglied des Deutschen Jungvolkes. 1942 schließt er die Volksschule ab und beginnt eine Lehre als Technischer Zeichner im Heizungsbau. Abschließen wird er diese Lehre erst nach dem Krieg. Seit 1944 Mitglied der Marine-HJ meldet sich Egon mit 17 als Freiwilliger zur Kriegsmarine und wird im Oktober 1944, im gleichen Jahr Mitglied der NSDAP geworden, nach Kiel eingezogen. Als sogenannte Dönitz-Spende wird er im Januar 1945 von der Marine an die Waffen-SS überstellt und nimmt als Angehöriger der SS-Panzerdivision Viking an den Rückzugsgefechten der Wehrmacht in Ungarn teil.

Nach seiner Gefangenschaft im SS-Gefangenenlager Grafenwöhr kehrt Egon im Oktober 1945 nach Osnabrück zurück, wo er – von den US-Behörden als Mitläufer eingestuft – seine Lehre fortsetzt und 1947 seine Facharbeiterprüfung abgelegt. Für den Beruf eher unbegabt, sieht Egon in dieser Phase seines noch jungen Lebens in anderen Zusammenhängen eine Chance, sich seine "durch Faschismus und HJ verkorkste Jugend zurück zu holen". Wie schon zuvor bei der HJ als Gefolgschaftsführer wird er Leiter einer Jugendgruppe, die zwar an die seemännischen Traditionen der Marine-HJ anknüfen, im übrigen aber von Politik nichts wissen möchte. Worauf es Egon ankommt und was ihn in der Folge – zunächst bei den Pfadfindern, später dann im Jugendbund dj 1.11. von Eberhard Koebel (Tusk) – in starkem Maße prägt, ist die Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die sich – anders als in der von der NS-Ideologie durchdrungenen HJ – nicht durch blinden Gehorsam und eine fragwürdige Disziplin auszeichnet, sondern die Persönlichkeit des Einzelnen, das eigenständige Denken, Verlässlichkeit und Kreativität in den Vordergrund stellt.

Die politische Neuorientierung Egons setzt 1952 mit dem Antritt einer Stelle als Hilfsarbeiter bei der Osnabrücker Hafenbahn ein. Erste Berührungspunkte mit "linken Ideen" hatte es bereits im Osnabrücker Stadtjugendring gegeben, jetzt war es die Gewerkschaftsbewegung, innerhalb der sich das politische Bewusstsein Egons auszuprägen beginnt. Es ist eine Zeit, in der sich die Maßstäbe seines späteren Handelns herauskristallisieren: Einen Beitrag leisten, wie es der ehemalige Vorsitzende des DGB-Landesbezirk Niedersachsen/Bremen, Hartmut Tölle, einmal formuliert hat, für "eine Gesellschaft in Freiheit, Gleichheit und Solidarität, gegen Unternehmerwillkür und ungerechte Behandlung".

Als Egon am 15. März 1965, 38-jährig, die Leitung des Freizeitheims Linden übernimmt, hatte er in Oldenburg bereits eine ganze Reihe gewerkschaftlicher Ausschüsse geleitet, war Betriebsratsvorsitzender und nebenamtlicher Jugendreferent der DGB-Jugend gewesen und hatte mehrere Jahre hauptamtlich als Internatsleiter für die AWO und die Deutsche Post gearbeitet. Seine gewerkschaftlichen Wurzeln verliert er auch in Hannover nicht aus den Augen. Ab 1969 wird er Vorsitzender des örtlichen Personalrats des Kulturamtes, zwischen 1972 bis 1976 gehört er dem Gesamtpersonalrat der Stadt an und trägt somit auch in der Landeshauptstadt dazu bei, gewerkschaftliche Strukturen zu entwickeln und eine starke Interessenvertretung der Beschäftigten aufzubauen.

Für den Stadtteil und seine Bewohner von unmittelbarer Bedeutung sind die Aktivitäten, die Egon an und rund um seinen neuen Arbeitsplatz entwickelt. Der neue Leiter öffnet das Freizeitheim für politische und kulturelle Aktivitäten und entwickelt die Einrichtung zu einem Ort der Begegnung zwischen den Generationen. Beeinflusst von den Ideen der soziokulturellen Bewegung bilden sich im Freizeitheim Arbeitskreise, in denen die Lindener ihre spezifischen Lebenserfahrungen einbringen können. Sie sind Ausgangspunkt einer Entwicklung, die in eine Fülle von Projekten und Dokumentationen zur Geschichte des Stadtteils mündet und die dem Freizeitheim als bundesweit erster Einrichtung 1976 den Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft eintragen.

Seit 1958 Mitglied der SPD, wird Egon in Linden in den 1970er Jahren auch unmittelbar politisch aktiv. Als Vorsitzender des Ortsvereins wendet er sich mit Erfolg gegen eine Sanierung des Stadtteils, die den Abriss zahlreicher Gebäude und damit die Entwurzelung vieler Bewohner zu Folge gehabt hätte. Ob es ohne Egon, wie von Rolf Wernstedt vermutet, keine organisierte Linke innerhalb der SPD in Hannover gegeben habe würde, kann nicht abschließend beantwortet werden. Von Wolfgang Hindrichs zumindest wird ihm bescheinigt, "als unermüdlich treibender Motor im Hintergrund aus einer verkrusteten und der Erosion verfallenden Parteiorganisation, einen lebendigen, durch vielfältige Innenkommunikation und Außendarstellung attraktiven" Ortsverein entwickelt zu haben. Doch das ist lange her: Enttäuscht von der Selbstherrlichkeit des Parteiestablishments und der zunehmenden Entfremdung der Partei von ihrer Basis pflegt Egon, sich selbst weit mehr als Marxist und Sozialist denn als Sozialdemokrat verstehend, seit langen Jahren ein eher kritisch distanziertes Verhältnis zu seiner Partei.

Egon hat – angefangen bei der Otto-Brenner-Akademie, dem Verein "Lebendiges Linden" und der Arbeitsgemeinschaft Lindener Vereine über die Geschichtswerkstatt und das Stadtteilarchiv im Freizeitheim bis hin zur Friedenschule – nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben noch eine Fülle von Projekten initiiert oder zumindest mit der ihm eigenen Energie begleitet und vorangetrieben. Was er mit seinen weit gespannten Aktivitäten für die Identität des Stadtteils und seiner Bewohner geleistet hat, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sein Vermögen, Menschen zusammen zu bringen und sie dazu zu bewegen, selbst die Initiative ergreifen, um ihre Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse zu verbessern, kurz: aus sich heraus die Kraft zu entwickeln, eine andere, eine menschlichere und gerechtere Gesellschaft zu gestalten, hat für das Selbstverständnis Lindens bis heute eine wesentliche Bedeutung.

Er sei, sagte Egon wenige Wochen vor seinem Tod, mit seinem Leben, mit dem, was er "angezettelt" habe, zufrieden. Kein Zweifel, das kann er.

(Ralf Schunk, Hannover)

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