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Der Gedenkmarsch "Steps to Remember 2025"
vom 24. April bis 27. April 2025 sollte den 80. Jahrestag des Todesmarsches von KZ-Häftlingen von Bremen-Farge in das Außenlager Sandbostel des KZ Neuengamme in Erinnerung rufen.
Es begann mit einer Auftaktveranstaltung am 23. April im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus. Renate Sonnenberg von der Friedensschule Bremen zeigte zu Beginn eine Bilddokumentation zu den Gedenkmärschen 1985 und 1990. Danach folgte eine Lesung von Zeitzeugenberichten des Todesmarsches 1945 vom Zentrum für Performance Studies der Universität Bremen.
Hier folgt Renate Sonnenbergs Referat:

Zur Erinnerung an die Todesmärsche im April 1945 veranstaltete 1985 der Antifaschistische Arbeitskreis dieses Bürgerhauses, in dem wir heute zu Gast sind, einen Gedenkmarsch von Bremen-Farge nach Sandbostel.
Über 60 Personen aus allen Altersgruppen gingen mit, darunter eine 9. Klasse der Schule in den Sandwehen mit ihrem Lehrer.
Abgesichert wurden wir unterwegs von einem Wagen des ASB, der uns auch täglich mit einem Mittagessen versorgte.
Übernachtet wurde in Hagen, Beverstedt und Oerel in Sporthallen und Kirchengemeinden. An jedem Abend gab es in diesen Gemeinden Veranstaltungen, in denen über das täglich Erlebte berichtet und diskutiert wurde.
Die Abschlussveranstaltungen fanden auf dem Ehrenfriedhof in Sandbostel und am ehemaligen Lager Sandbostel statt.
Im Folgenden möchte ich darstellen, wie es zu diesem Gedenkmarsch kam, was ihm voraus ging und in welchem gesellschaftlichen und politischen Umfeld er geplant und durchgeführt wurde.
Was bewegte uns damals, einen solchen Gedenkmarsch zu organisierten? Und was motivierte Menschen sich daran zu beteiligen?
Aber natürlich wird es auch darum gehen, was wir unterwegs erlebten: Zeitzeugen mit denen wir ins Gespräch kamen und steinerne Zeugen, auf die wir am Wegrand stießen, die Fragen aufwarfen und uns zum mindestens an einer Stelle zum Stolperstein wurden.
Und zum Schluss noch ein kurz Blick darauf, was blieb, wie es weiterging.
Vorweg ein kleiner Hinweis: Einige verwendete Fotos und die kurzen O-Ton-Einspielungen, keine länger als eine Minute, entsprechen nicht alle dem heutigen Qualitätsstandart. Leider standen mir an einigen Stellen keine anderen Fotos zur Verfügung. Ich wollte auf deren Aussage aber nicht verzichten. Fast alle s/w-Fotos sind von Klaus Buschmann. Alles andere stammt aus unserm Archiv. Die ursprüngliche Herkunft ist nicht mehr nachvollziehbar.

Der Antifaschistische Arbeitskreis, der Veranstalter des Gedenkmarschs 1985, gründet sich im Gustav-Heineman-Bürgerhaus, im Januar 1980.
Der Initiator war Gerd Meyer, links im Bild, der seit wenigen Monaten das Haus leitete. Bis zu seinem Tod im Januar 2021 war Gerd Meyer Ideengeber, Motor und Herz zunächst des Antifaschistischen Arbeitskreises und später dann der Internationalen Friedensschule Bremen.
Die ersten Personen die Gerd Meyer auf die Gründung eines Antifaschistischen Arbeitskreises ansprach, waren Menschen, die aktiv gegen die Nazis Widerstand geleistet hatten und sich nach 1945 in der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zusammengefunden hatten. Mitte der 70er Jahre hatte die Organisation sich den Zusatz Bund der Antifaschisten gegeben und sich damit auch für jüngere Menschen geöffnet. 1980 war Jakob Pfarr Vorsitzender, in der Mitte, und ich stellvertretende Vorsitzenden der VVN/BdA in Bremen-Nord. Im rechten Bild, ganz rechts auf diesem Bild ist Willi Hundertmark zu sehen, der langjährige Landesvorsitzende der VVN.
Weitere Personen aus dem Stadtteil, die sich dem Antifaschismus verbunden fühlten, schlossen sich uns an, so dass wir sehr schnell arbeitsfähig waren. Bevor ich etwas über unsere konkreten Anliegen und Aktivitäten sage, möchte ich auf den Hintergrund verweisen, den wir alle mehr oder weniger teilten.
Die meisten von uns hatten den Krieg oder die unmittelbare Nachkriegszeit noch selber miterlebt oder waren Kinder von Eltern, die den Krieg – nicht selten traumatisiert - überlebt hatten. Die Nazi-Diktatur, ihre Ideologie, ihre Propaganda, die Verbrechen – all das, war auf der einen Seite viel dichter an uns dran, als das heute der Fall ist. Auf der anderen Seite erlebten wir, dass alles was mit 12 Jahren NS-Zeit zu tun hatte, von der Mehrheitsgesellschaft verdrängen und wenn möglich, vergessen wurde.
Einige von uns waren bereits Teil der 68er Bewegung gewesen, in der man damit begonnen hatte, sich gegen dieses Verdrängen und Vergessen aufzulehnen, andere hatten sich in den 70er Jahren politisiert, in dem Jahrzehnt, das im Nachhinein als Rotes Jahrzehnt bezeichnet werden sollte. Und, was auf keinen Fall vergessen werden darf - das politische Koordinatensystem, in dem wir agierten, bildete der Kalte Krieg.
Im Folgenden ein Blick auf Themen und Anliegen, die uns Anfang der 80er Jahre bewegten und aktivierten und uns im Juli 1985 im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung und auf die Straße brachten.
Sie spiegeln ein Stück Zeitgeschichte wider und verweisen auf im Rahmen des Gedenkmarschs erhobenen Forderungen und Resolutionen.

Als übergeordnete gemeinsame Anliegen des Antifaschistischen Arbeitskreises war sicherlich das vom Buchenwaldschwur abgeleiteten „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ Auf Veranstaltungen sah man damals häufig Käthe Kollwitz Plakat Nie wieder Krieg! Auf dem Gedenkmarsch 1985 wurden wir mit diesem Plakat mit dem Zusatz „Nie wieder Faschismus“ von der Friedensinitiative Schwanewede/Beckedorf begrüßt.
Die Widerstandskämpfer hatten 1933 gemahnt: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Auch 50 Jahre später teilten wir die Überzeugung, Faschismus führt zwangsläufig zu Krieg. Beides galt es zu verhindern. Nie wieder sollte es einen deutschen Faschismus geben und nie wieder sollte von Deutschland ein Krieg ausgehen.

Von Anfang an sahen wir uns als Teil der Friedensbewegung, die sich in Reaktion auf den sogenannten Nato-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 gebildet hatte und waren Mitbegründer des Friedensforums Bremen-Nord.
Auf dem Gedenkmarsch fühlten wir uns mit dem Thema konfrontiert, als wir kurz vor Basdahl an einer amerikanischen Militäreinrichtung vorbeikamen. Von da an standen unser Gedenkmarsch unter Polizei-Begleitung. Später erfuhren wir, dass sie von den Amerikanern angefordert war. Kleine Anmerkung an dieser Stelle: Damals hätte sich mit Sicherheit keiner von träumen lassen, diese Strecke einmal gemeinsam mit Polizistinnen und Polizisten zu gehen.

Bedeutung hatte für uns damals auch noch das Brecht-Zitats: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch und ebenso: Wehret den Anfängen.
Der Rücktritt des Baden-Württembergischen Ministerpräsident Hans Filbinger war allen noch unmittelbar in Erinnerung. Als Marinerichter war er an Todesurteilen beteiligt und verteidigte das bis zu Letzt mit den Worten "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein".
1979 war Karl Carsten zum Bundespräsidenten gewählt worden - ein ehemaliges NSDAP-Mitglied mit großer Nähe zum NS-Regime.
Und - 1980 war auch das Jahr des neofaschistischen Terrors:
Der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna kostete am 2. August 85 Menschen das Leben.
In Deutschland terrorisierten die Wehrsportgruppe Hoffmann und andere neofaschistische Gruppierungen die Republik. 17 Menschen fielen ihnen in diesem Jahr zum Opfer. Bei dem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest starben 13 Menschen. Einen politischen Hintergrund oder gar ein neofaschistisches Netzwerk wollten Politik und Justiz lange nicht im Zusammenhang diesen Verbrechen sehen.
Auch wenn 1980 Nachfolgeorganisationen der NSDAP wie die NPD parlamentarische keine Rolle spielten, bestand eine der ersten Aktivitäten des Arbeitskreises darin zu verhindern, dass die NPD Räume des Bürgerhauses nutzen konnten. Etwas später initiierten wir das Bremen-Norder Bündnis gegen Neofaschismus.
Mit unseren Aktivitäten und dann auch mit dem Gedenkmarsch wollten wir ein Zeichen setzten gegen die ewig Gestrigen und das Erstarken des Neofaschismus.

Den Schwerpunkt unserer Aktivitäten bildete aber von Anbeginn die Beschäftigung mit den Spuren, die die Nazi-Diktatur von 1933 – 1945 in unserer Region hinterlassen hatte.
Ende der 1970er-Jahre hatte eine neue, zivilgesellschaftliche Geschichtsbewegung begonnen, den Nationalsozialismus auf lokaler Ebene zu erforschen und dabei auch lokale Verantwortlichkeiten und Verstrickungen zu thematisieren. Diese Bewegung stellte sich bewusst in einen politischen und antifaschistischen Kontext. Überall entstanden sogenannte Geschichtswerkstätten, die unter der Aufforderung „Grabe, wo du stehst“ aktiv wurden.
Auch wenn wir uns nicht im engeren Sinn als eine Geschichtswerkstatt verstanden, profitierten wir doch von deren Ergebnissen und unterstützen sie auf ihrer Spurensuche und dabei Forschungsergebnisse und -erkenntnisse zu vermitteln.
Bereits 1981 führten wir unsere ersten Antifaschistische Stadtrundfahrt durch, mit denen wir in den kommenden Jahren viele hunderte Menschen im Stadtteil erreichten, darunter viele Schulklassen und Konfirmandengruppen, aber auch Lokalpolitik, Gewerkschafter und Kirchenvertreter.
Auf den Fotos sind Teilnehmer einer Stadtrundfahrt 1982 zu sehen: Oben auf dem Weg zu den Ruinen des unterirdischen Rundbunkers in dem sich ein Teil des KZ-Außenlagers Farge bis zu dessen Räumung im April 1945 befand. Im Vordergrund die beiden Mitglieder des Antifaschistischen Arbeitskreis Jakob Pfarr und Robert Wilczek.
Im Rahmen dieser Fahrten wurden immer auch der „U-Boot-Bunker“ aufgesucht - wie er damals noch bezeichnet wurde, nicht jeder nahm den von den Nazis gegebenen Namen Valentin gerne in den Mund und von einem Denkort Bunker Valentin trennten uns noch 33 Jahre. Und wir fuhren, bzw. gingen zu den ehemaligen Außenlager des KZ-Neuengamme auf der Bahrsplate und in der Farger Heide, um an diesen Orten an das Leiden und Sterben der bis 1945 dort Inhaftierten zu erinnert.
Die ersten historischen Grundlagen unserer Stadtrundfahrten waren die Zeitzeugenberichte der uns begleitenden ehemaligen Widerstandskämpfer, die Ergebnisse einer Schulklasse, die sich auf Spurensuche begeben hatte. Eine erste Auflistung von Zwangsarbeiterlagern hatten wir vom Bremer Universitätsprofessor Christoph Schmink-Gustavus erhalten. Im Juni 1981strahlt Radio Bremen das Feature von Rainer Habel und Christian Siegel „Keiner verlässt lebend das Lager“ über den U-Boot-Bunker und die Lager in der Farger Heide aus. Mit Rainer Habel verband uns eine langjährige Freundschaft, verbunden mit einem regen Materialaustausch.

Der Keim, an die Todesmärsche von KZ-Häftlingen im April 1945 zu erinnern, wurde am 06.08.1983 gelegt. An diesem Tag führte der ehemalige Lagerschreiber des KZ-Neuengamme unseren Arbeitskreis durch die Gedenkstätte. Bereits im Vorfeld hatte er uns Unterlagen zusammengestellt, die die KZ-Außenlager von Neuengamme in unserer Region betrafen. Im Wesentlichen waren das Dokumente aus dem sogenannten Hans-Schwarz-Archiv, dass u.a. Aussagen von Überlebenden der Todesmärsche enthält.
Auch 1983 war das Buch des Journalisten Günther Schwarberg erschienen Angriffsziel Cap Arcona, dem eine mehrteilige Serie im Stern vorausgegangen war.
Der gebürtige Vegesacker kam zu uns in den Arbeitskreis und informierte uns über die Tragödie am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht, bei der wenige Tage vor Kriegsende noch tausende KZ-Häftlinge ums Leben kamen, die bis dahin die Todesmärsche überlebt hatten.
Im Januar 1984 konnten wir uns dann auf einer Tagung im Dokumenthaus der KZ-Gedenkstätte Neuengamme noch weitergehend mit dem Thema vertraut machen und im April 1985 wurde im Rahmen eines Bildungsurlaubs der Gedenkmarsch konkret vorbereitet. Wir fuhren die Strecke ab und nahmen Kontakt zu einigen Vertretern der Gemeinden auf.

Einsteigen möchte ich mit dem, was wir während des Gedenkmarschs erlebten haben, mit einem Blick auf den Ort, an dem er am 13.07. endete.
Das Gewerbegebiet Immenhain in Sandbostel steht für mich zur Gedenkstätte Lager Sandbostel wie das Marinematerialdepot der Bundeswehr zum Denkort Bunker Valentin.
Beide Orte stehen dafür, was sich in den letzten Jahrzehnten getan hat. Es sind Gedenkstätten und Erinnerungsorte entstanden, wie wir sie 1985 forderten, deren Umsetzung uns damals aber utopisch erschien.
Sandbostel steht für mich darüber hinaus dafür wie bundesweit bis in die späten 70er und frühen 80er Jahre mit vergleichbaren Orten umgegangen wurde. In Sandbostel hatte sich daran allerdings auch 1985 noch kaum etwas verändert.
Sandbostel steht aber auch für Menschen, die daran etwas ändern wollten. Klaus Volland und Werner Borgsen hatten sich bereits Ende der 70er Jahre auf Spurensuche begeben und ihre Forschungsergebnisse zu dem Kriegsgefangen- und KZ-Auffanglager vor den Toren Bremervördes in die Öffentlichkeit gebracht.
35 Jahre nach Kriegsende 1980 hatten sie ein breites Bündnis initiiert. Am 3. Mai. wollte dieses eine Gedenkveranstaltung im Kreishaussaal Bremervörde durchführen. Doch die Türen zu diesem Saal blieben ihnen verschlossene.
Ein Grund dieser Zurückweisung war, dass auch Kommunisten den Aufruf zur Veranstaltung unterzeichnet hatten.
Im Wesentlichen fürchtete die Kreisleitung aber wohl eine Rufschädigung. Eine Aussage aus diesem Kreis legt das nahe. Es sei ein - Zitat – „höchst unsympathischer Gedanke, das Kreishaus und damit den Kreis mit dem dichtbei vollzogenen Ausladen toter oder noch lebender Häftling in Beziehung zu setzten.“
Möglicherweise hatte man auch Angst vor einem wirtschaftlichen Schaden für den Kreis. Denn Mitte der 70er hatte die Stadt begonnen, das Lagergelände in ein Gewerbegebiet umzuwandeln. In ihrem 1991 erschienen Buche Stalag X B – Sandbostel schreiben Klaus Volland und Werner Borgens dazu: „Mit der Privatisierung des gesamten Lager-Komplex und seiner Umwidmung zum „Gewebegebiet Immenhain“ wurden Mitte der 7oer Jahre die Bemühungen unübersehbar, den historischen Charakter dieser Stätte als ehemaliges Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager endgültig dem Vergessen preiszugeben.“
An diesem Konzept hielt man fest. Und wie wir das ehemalige Lagergelände 1985 vorfanden beschrieb Klaus Volland auf der Abschlussveranstaltung des Gedenkmarschs.


In Bremen hatte man im Zeitraum 1980 bis 1985 bereits begonnen, andere Zeichen in Bezug auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit zu setzten.
Seit Ende der 70er Jahre hatten sich hier Einzelpersonen, Initiativen, Wissenschaftler, etwas später auch Gewerkschaftler der Geschichte Bremens während des Faschismus – so der damals erstrittene Terminus – angenommen.
Ausdruck fand das u.a. am 16.09.1983, als vor dem U-Boot-Bunker das Mahnmal „Vernichtung durch Arbeit“ von Fritz Stein unter großer Beteiligung der Bevölkerung eingeweiht wurde. Den Sockel des Mahnmals zierte die Inschrift „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg – jede Anstrengung für den Frieden in der Welt“. Und das in 12 Sprachen.
Anwesend waren auch 80 ehemalige französiche KZ-Häftlinge. Es sprachen u.a. der ehemalige Häftling André Migdal – auf dem Foto der Gruppe vorausgehend - und Bremens Bürgermeister Hans Koschnik. Die Gruppe der Franzosen wurde wie in den Jahren davor und vielen danach von Rainer Habel – unter der Fahne zu sehen - begleitet. Vorne, links Gerd Meyer.

Am 7. Mai 1985, ca. zwei Monate vor dem Gedenkmarsch, wurde in Bremen-Blumenthal auf dem Parkgelände der Bahrsplate ebenfalls unter großer öffentlicher und prominenter Beteiligung eine bronzene Gedenktafel eingeweiht. Mit ihr wird seitdem darauf hingewiesen, dass sich auf dem Parkgelände bis zum April 1945 ein KZ-Außenlager von Neuengamme befand. Das Lager wurde ab dem 9. April geräumt. Auch viele der Häftlinge aus dem Blumenthaler Lager kamen noch in den letzten Wochen vor Kriegsende auf einem der Todesmärsche ums Leben.
Seit April letzten Jahres erinnert auch eine Stele an der Bahrsplate daran. Und in diesem Jahr werden wir als Friedensschule im Rahmen einer Veranstaltungswoche um den 8. Mai wieder der Menschen gedenken, die dort litten und starben.

Am 10. Juli 1985 startete vor dem Bunker Valentin neben dem Mahnmal der Gedenkmarsch. Verabschiedet wurden wir vom Vegesacker Ortsamtsleiter Heiner Behrens in Anwesenheit von Presse und Fernsehen, das abends im Lokalprogramm darüber berichtete.
Im Aufruf zum Gedenkmarsch hieß es, wir führen ihn zur Erinnerung und Mahnung durch, unser Interesse war aber auch, herauszufinden, an was sich Menschen in Bezug auf den April 1945 entlang der Strecke erinnerten. Dazu sprachen wir Menschen gezielt an, die wir bereits auf dem Bildungsurlaub, der dem Gedenkmarsch vorausgegangen war, kennengelernt hatten. Immer wieder kam es aber auch zu spontanen Kontakten.

Den ersten dieser Kontakte hatten wir bereits in Schwanewede. Ein Ratsherr der Gemeinde berichtet uns, dass er als Achtjähriger in Barchel beobachtet habe, wie ein Häftling mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen wurde, als er sich eine halbverfaulte Rübe von einem Misthaufen holen wollte. Der Mann sei zunächst liegengeblieben, später aber wohl von anderen Häftlingen weitergeschleift worden. Als Kind habe er sich nicht getraut über dieses Erlebnis zu sprechen, es sei ihm aber immer im Gedächtnis geblieben.
Zu einem weiteren spontanen Kontakt kam es in Hagen. Dort trafen wir auf den Betriebsleiter der hiesigen Ziegelei. Gerd Meyer berichtet über das Gespräch mit dem Mann.

In Beverstedt kam es zur Begegnung mit Pastor Uwe Colmsee und mit Julius Brumsack. Herr Brumsack stammte aus einer jüdischen Familie. Seine Angehörigen wurden am 17. November 1941 abgeholt. Ihre Spur fand man später in Minsk wieder. Er selber überlebte in England als einziger seiner Familie. Nach dem Krieg kam er zurück nach Beverstedt. Hier Beverstedt wurde von ihm gesagt, dass er aufgrund seiner grausamen Erfahrung lieber allein bleiben wollte. Er galt als kontaktscheu.
Auf dem Beverstedter jüdischen Friedhof am Stein der ermordeten Familie Brumsack sprachen wir mit Herrn Brumsack. Er berichtete am Gedenkstein für seine ermordeten Verwandten davon, wie er nach dem Krieg nach Beverstedt zurückgekehrt und dort zum Einzelgänger erklärt worden war, was ihn in der Folge daraus auch dazu machte. Er selber erklärt sich und uns das so: „Die Menschen sprachen mich aus Angst, Schuldbewusstsein oder gar aus schlimmeren Gründen nicht an.“
Während unseres Gesprächs mit Herrn Brumsack und Herrn Colmsee hielt plötzlich ein LKW-Fahrer an.
Wir hören den LKW-Fahrer. Gerd Meyer und Manfred Haneberg stellen ihm Fragen.

In Stubben erwartete uns Edit Johnson. Wir hatten sie bereits auf unserm Bildungsurlaub im April kennengelernt. Sie war 1945 neun Jahre alt, als die Kolonne der KZ-Häftlinge durch ihren Ort kam. Sie wollte damals Wasser holen, um den so offensichtlich notleidenden Menschen zu trinken zu geben. Damals wurde ihr das verwehrt. Jetzt im Juli 1985 stand sie mit einem Eimer Wasser und einer Schöpfkelle am Straßenrand, verteilte Wasser an die Teilnehmer des Gedenkmarschs und erzählte ihnen an Ort und Stelle und später noch einmal auf der Abschlussveranstaltung von ihrem Erlebnis im April 1945.
Auf dem Bild links ist Frau Johnson mit den beiden Blumenthaler Sozialdemokratinnen Thea Schweingruber und Eva Seligmann zu sehen.

In Barchel trafen wir auf die Scheune an der der Schwaneweder Ratsherr beobachtet hatte wie ein Häftling niedergeschlagen wurde. Aus den Gesprächen mit den Anwohnern ergab sich, dass in mindestens einer weiteren Scheune Häftlinge untergebracht worden waren.

Jeden Abend kamen wir mit Vertretern der Gemeinden und interessierten Bürgern zusammen, um über die Erlebnisse des Tages und aktuelle im Zusammenhang stehende Themen zu sprechen.
Die erste Abendveranstaltung fand im Hagener Rathaus statt. Es waren relativ viele Menschen anwesend, obwohl der zuständige Gemeindevertreter unsere Einladung nicht wie verabredet weitergegeben hatte. Unter den ortsansässigen Teilnehmern befanden sich Gemeinderäte und Ortsbürgermeister von Nachbarorten. Nach einer freundlichen gegenseitigen Begrüßung wurde die Diskussion schnell hitzig, über die nicht weitergeleitete Einladung, dann aber vor allem über einen Gedenkstein in der Nähe von Lohe, in dessen Mitte ein Hakenkreuz zu erkennen war.
Tagsüber waren wir an diesem Stein vorbeigekommen - offensichtlich und bekanntermaßen ein Treffpunkt von Neonazis.
Hier ein kleiner Ausschnitt aus der Diskussion um diesen Stein. Als Teilnehmer des Gedenkmarsches ist Ludwig Baumann zu hören. Auf dem Foto trägt er ein kariertes Hemd
ie beiden Gemeindevertreter von Hagen, rechts neben der Tür, die gerade von Gerd Meyer noch herzlich begrüßt worden waren, verließen während der Diskussion um diesen Stein die Veranstaltung. Zu unserer Erleichterung übernahm ein anwesender Ortsbürgermeister daraufhin die Rolle des Hausherrn, was die Situation schnell wieder beruhigte und uns aus der unangenehmen Situation erlöste.

Am nächsten Abend waren wir in Beverstedt zu Gast. Eingeladen hatte die hiesige Kirchengemeinde. Die Beverstedter Friedensinitiative hatte die Veranstaltung wesentlich mitgestaltet. Auch an diesem Abend ging es unteranderem wieder um steinerne Zeugen. Unterwegs waren wir immer wieder auf Grab- und Gedenksteine wie abgebildet gestoßen. Lediglich zweimal waren wir unterwegs auf Grabstein mit der Inschrift Unbekannt gestoßen, von denen es hieß, dass sie für Opfer der Todesmärsche stehen könnten. Einen eindeutigen Gedenkstein, für diese Menschen gab es damals an der Strecke noch nicht. Den hat erst 2006 Johann Dücker aus Basdahl aufstellen lassen.
Auf der Abendveranstaltung ging es dann um die Frage nach „richtigen Denkmälern“. An der Diskussion beteiligte sich sehr engagiert ein älterer Herr, der sich als Vertreter des Veteranen-Vereins vorgestellt hatte. Auch hier verlief die Diskussion durchaus kontrovers. Anders als in Hagen gingen an diesem Abend aber die Diskutanten im Anschluss an die Veranstaltung noch gemeinsam ein Bier trinken.

Am dritten Abend in Oerel, an dem auch Blumenthals Ortsamtsleiter Karl Lüneburg anwesend war, ging es u.a. um die Frage, warum die Häftlinge so wenig Unterstützung erfahren hatten. Es wurde deutlich, dass die Menschen sich vor Sanktionen fürchteten, ein Großteil aber auch die vorbeiziehenden Häftlinge als „schlimme Verbrecher“ ansahen, mit denen man kein Mitleid haben sollte und auch keins hatte.
Links im Bild Hans Friese, einer der Mitinitiator und –organisator des Gedenkmarsches.
Auch an diesem Abend ebenso wie unterwegs nahmen Schüler und Schülerinnen der 9. Klasse der Schule in den Sandwehen die Gespräche auf Tonband auf. Ganz außen links ihr Lehrer Ingo Kurth.

Bevor wir das Ziel des Gedenkmarschs Sandbostel erreichten, hatten wir mehr als 10 Orte durchquert, überall Mahn- und Info-Stopps eingelegt und an jedem Tag eine kleine Presseauswertung in Bezug auf Artikel zum Gedenkmarsch gemacht.
Während des Gedenkmarschs sind wir natürlich nicht nur mit den Menschen, denen wir unterwegs begegneten sind in Kontakt gekommen, sondern auch untereinander. Nicht selten ging es dabei auch um Hilfe und Unterstützung.

Auch das sollte nicht vergessen werden. Der Gedenkmarsch stellte auch eine körperliche Herausforderung dar. In vier Tagen wurden über 80 km zurückgelegt.
Viele der Teilnehmer, so auch die Schülergruppe, liefen die ganze Strecke mit – und wie vor Kurzem ein Mitarbeiter des Bürgerhauses sagte, der als Schüler dabei war, ist im nicht zu Letzt dieser Aspekt in Erinnerung geblieben.

Auf dem Friedhof Sandbostel fand der erste Teil der Abschlussveranstaltung statt.
Auf diesem Friedhof sind tausende von Kriegsgefangen und KZ-Häftlinge bestattet. Die relativ gepflegte Anlage gaben damals wenig Auskunft über die Menschen, die im Lager Sandbostel ums Leben gekommen waren, weder über ihre Anzahl, noch ihre Herkunft oder ihren Gefangenen-Status. Die Geschichte und Gestaltung dieses Freidhofs waren Ausdruck des Kalten Kriegs, geprägt von Antikommunismus, Verleugnung und Verdrängung. Das bei Borgsen und Volland in ihrem Buch Stalg XB Sandbostel nachzulesen oder sich in der Gedenkstätte Lager Sandbostel darüber zu informieren, lohnt sich.
Auf diesem Friedhof legten die Teilnehmer des Gedenkmarschs Ludwig Baumann und Anne Uhl einen Kranz nieder mit der Aufschrift: Die Teilnehmer gedenken der Menschen, die 1945 von den Nazis auf den Todesmärschen geschunden und ermordet wurden. Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg. Für die Völkerfreundschaft und den Erhalt des Friedens. Sandbostel, den 13. Juli 1985
Im letzten Herbst hatte die Friedensschule für unsere Gruppe und andere Interessierte einen Besuch der Gedenkstätte Lager Sandbostel organisiert. Ich muss sagen, dass ich ziemlich gerührt war, als ich unvermittelt vor diesen Kranzschleifen stand.

Der Gedenkmarsch fand seinen Abschluss am ehemaligen Lagergelände Sandbostel, an dem Gewerbegebiet, wie es zuvor von Klaus Volland beschrieben worden war.
Die Teilnehmer hatten unterwegs Blumen und Feldsteine gesammelt, ein hölzernes Kreuz erstellt und daraus eine kleine Gedenkstätte errichtet.
Vor dieser Gedenkstätte sprachen dann zum Abschluss Gerd Meier für den Antifaschistischen Arbeitskreis, Henning Scherf als Vertreter des Bremer Senats, Willi Hundertmark, der Landesvorsitzende der Bremer VVN, Klaus Volland, eine junge Gewerkschafterin und ein Schüler aus der Schule an den Sandwehen in Bremen-Blumenthal.
Hier kurze Ausschnitte aus ihren Wortbeiträgen.
Zum Schluss wurde eine zuvor von Teilnehmern verfasste Resolution verlesen. Der zentrale Satz darin lautete:
"Wir erheben … die Forderung, das, was damals geschehen ist, nicht zu vergessen und zu verdrängen und deshalb Gedenkstätten zu errichten, in denen an die Teilnehmer der „Evakuierungsmärsche“ vom April 1945 erinnert wird. Wir sind bereit, daran mitzuwirken."

Bleibt vielleicht noch die Frage, was blieb vom Gedenkmarsch - über das hinaus, was die Teilnehmer in ihren Köpfen, Herzen und an ihren Füssen mit nachhause nahmen.
Die Schüler und Schülerinnen der Schule in den Sandwehen bewiesen langen Atem, wie es in einem Artikel der Norddeutschen hieß. Sie erstellten eine Ausstellung über den Gedenkmarsch und präsentierten diese im Bürgerhaus.
Harm Ridder, damals Pastor in der ref. Kirchengemeinde Blumenthal, der mit seiner Frau Hanna auch am Gedenkmarsch teilgenommen hatte, nahm das Thema am Volkstrauertag 1985 in einem Gottesdienst auf.
Und in der Gedenkstätte Neuengamme stellten wir ein knappes Jahr später unseren Film über den Gedenkmarsch vor.

Und dann war da noch der offene Brief an den damaligen Verteidigungsminister Manfred Wörner mit Forderung nach Gedenk- und Erinnerungsstätten auf dem ehemaligen Lagergelände, das im Besitz der Bundeswehr war.
Ganz viel haben wir damals nicht erreicht, aber immerhin wurden zwei Tafeln im Gelände aufgestellt, von denen eine an das KZ-Außenlager Farge erinnert. In diesem Lager waren die Häftlinge teilweise in einem unterirdischen Bunker untergebracht, die zur Lagerung von Treibstoff gebaut worden waren.
Vor wenigen Wochen habe ich den Ort noch einmal aufgesucht. Die Tafel steht noch.

Eine Sache ist noch vorhanden. Eine von Mitgliedern des Antifaschistischen Arbeitskreis erstellte Broschüre über den Gedenkmarsch.
Regelmäßig besucht die Polizeiinspektion Verden mit ihren Polizeischülerinnen und -schülern die Gedenkstätte Lager Sandbostel. Dort stießen sie auf diese Broschüre und damit auf die Idee entlang der dort beschriebenen Strecke, den Todesmarsch der KZ-Häftlinge noch einmal in Erinnerung zu bringen.
Es ist für mich ein besonderes Erlebnis, dass wir als Friedensschule nach 40 Jahren, jetzt gemeinsam mit der Polizeiinspektion Verden, der Berufsbildenden Schule Osterholz-Scharmbeck, der Gedenkstätte Sandbostel, dem Denkort Bunker Valentin und anderen daran erinnern, wie vor 80 Jahren Nationalismus, Rassismus, Ausgrenzung und der Verlust von Mitmenschlichkeit endeten. Mit dem Marschieren gedenken wir der Opfer der Todesmärsche und rufen auf zur Wachsamkeit und zur Stärkung der Demokratie.
Ich danke allen, die den Gedenkmarsch 2025 ermöglicht und vorbereitet haben – und Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
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